GLEICHZEITIG
Im Herbst ist die Gleichzeitigkeit in der Natur immer besonders sichtbar: Neben den Bäumen, die schon komplett ihre Blätter verloren haben, die kahl sind und leblos wirken, steht dann ein Busch oder Baum, der in den kräftigsten und schönsten Farben erstrahlt.
Und es ist wie ein Spiegel für mich, da sich in mir selbst auch sooft ganz unterschiedliche Empfindungen und Gefühle parallel abspielen. Selbstzweifel und Freude kann ich (inzwischen) oft zur gleichen Zeit wahrnehmen. Wobei das nicht immer so war und es für mich eine Übung ist, dass mein Fokus sich in diesen Momenten nicht komplett und ausschließlich auf die Selbstzweifel beschränkt.
Mich überfluten zu lassen von einem Gefühl (z.B. der Überforderung oder des unersättlichen inneren Anspruchs). Das ist mir schon lange vertraut. Ich kenne es, dass diese Stimmen und Gefühle so groß werden in mir, dass sie alles andere verdrängen und ich mich ganz darauf fixiere und mich dann komplett ausgeliefert fühle. Ich bin dann das Gefühl. Und es ist so, als könne daneben nichts anderes existieren. Und ich kenne es auch, dass ich viel Kraft aufwende, um dem zu entfliehen und nicht da zu sein, wo ich gerade bin. Also wegzukommen vom unliebsamen gegenwärtigen Gefühl. Auch das ist sehr anstrengend. Ganz abgesehen davon, dass das auch nicht klappt. Stattdessen verspanne ich mich noch mehr, spüre mich nicht mehr und bin insgesamt kraftlos und unmotiviert.
Und nun erfahre ich seit einigen Jahren, dass es für mich nicht darum geht wegzulaufen vor dem "unguten" Gefühl und auch nicht darum, mich dem komplett hinzugeben. Ganz oft entspringen diese Gefühle alten Gedankenketten, die dann in mir eben auch ziemlich alte Gefühle auslösen. Die inneren und äußeren Reaktionen, die ich habe darauf, sind oft wie automatisiert.
Inzwischen kann ich immer öfter einen Schritt zurückgehen und sehr präsent und gegenwärtig wahrnehmen, was da gerade in mir abläuft. Ich kann es beobachten. Das heißt nicht immer, dass es sich dann gleich auflöst, es läuft dann weiter in mir ab (und hat oft gute und wertvolle Botschaften für mich- dazu ein andermal mehr), doch es beherrscht mich nicht mehr komplett. Ich stelle den Raum in mir bereit, dass diese Gefühle da sein können und gleichzeitig fühle ich mich handlungsfähig und innerlich und äußerlich beweglicher. Ich erkenne dann, dass da auch etwas anderes ist in diesem weiten Raum, der ich bin. Ich kann meinen Fokus erweitern.
Einige konkrete aktuelle Beispiele von mir sind:
- Dass es sich in einem Teil meines Körpers eng anfühlt und ich in einem anderen Bereich gleichzeitig eine Weite wahrnehmen kann.
- Dass ich überfordert bin von einer Begegnung und ich gleichzeitig die Sonne auf meiner Haut spüre und, dass sie mir gut tut.
- Dass ich mich nicht gut genug finde und mir gleichzeitig Blumen pflücke, die mich zutiefst erfreuen.
- Dass mich etwas besorgt und ich gleichzeitig albern sein kann.
Und hier eine kleine ÜBUNG
Weißt Du, was Dir gut tut? Kannst Du es in dem Moment erkennen, auch, wenn Du gerade im Stress bist? Überlege Dir jetzt, was Dir ein gutes Gefühl gibt, ein Gefühl der Ausgeglichenheit? Das kann etwas vermeintlich ganz Kleines sein. Ist es der Blick aus dem Fenster auf einen Baum, die morgendliche Dusche, ist es die Bewegung beim Fahrradfahren, ein Duft, den Du bei Dir trägst, der Blumenstrauß, den Du Dir auf Deinen Schreibtisch stellst? Ist es ein weicher Schal, der deine Haut streichelt, barfuß durch die Wohnung laufen, ein Lied, dass Du liebst…?
Sammle alles, was Dir einfällt und schreibe es auf.
Und nun kannst Du Dir überlegen, was Du davon zu Deiner täglichen Praxis machen oder einfach wahrnehmen kannst, sei es auch nur ein paar Minuten.
Dabei wünsche ich Dir viel Freude und Neugier auf Dich selbst!
von HERZEN* Leonie